Eine neue Schrift kannst du gut an einem Projekt üben. Daran erkennst du am besten deinen Fortschritt, hast Motivation und etwas zum Dranbleiben. Das in etwa waren meine Gedanken, als ich dem Bibelschreib-Projekt der Freisinger Kalligrafiegruppe zusagte.
Was das bedeutete, worauf ich mich eingelassen habe und was dabei herausgekommen ist siehst du in den nachfolgenden Ausführungen.
Die Vorgaben
Bei einem gemütlichen Treffen mit der Organisatorin bekam ich eine Einweisung in das Projekt. Ich ersetzte eine ausgefallene Schreiberin und erhielt zwei Psalmen. Wir besprachen alle gestalterischen Vorgaben. Die Schrift, in der ich den Text schreiben würde, durfte ich mir aussuchen. Ich entschied mich für die Textura, denn die wollte ich üben.
Zusätzlich zu den Vorgaben wie Satzspiegel (Das ist der Bereich, der beschrieben wird innerhalb der Ränder), Aufbau der Texte und Illustrationsfreiräume erhielt ich ein kleines Schatzkistchen mit Tusche, Federn, Papier im Endformat und sogar etwas Blattgold zum Verzieren der Initialien.
Die Entscheidungen
Wieder daheim war mein erster Schritt, auf einem Probestreifen die Laufweite meiner Schrift zu ermitteln. Das ist der Platz, den ich in einer Zeile verbrauche. Ich schrieb also einige Zeilen in verschiedenen Schriftgrößen und berechnete die Anzahl der Zeilen, die ich in dem vorgegebenen Satzspiegel unterbringen würde.
Ich habe mich für eine 1 mm Federstärke entschieden. Damit war die Höhe meiner Kleinbuchstaben 6 mm. Auf einem Übungsblatt schrieb ich einen Textblock, um den Psalm einmal in seiner Gesamtheit geschrieben zu sehen und ein gefühl für Textmenge, Platz und Schrift zu bekommen. Dann zog ich meine Zeilen auf das finale Papier, kalkulierte Platz für Überschriften, Illustrationen und Illuminationen ein.
Die Herausforderungen
An dieser Stelle ist mir schon der erste Fehler unterlaufen, den ich leider erst bemerkt habe, als ich schon einige Zeilen geschrieben hatte: Ich hatte die Ränder falsch eingezeichnet und somit stimmte der ganze Satzspiegel nicht. Das Blatt musste zur Seite legen und neu beginnen. Ich war froh, dass ich einen Reservebogen bekommen habe.
In den Klöstern haben die Mönche zum Zeilenziehen ihre Pergamentpapiere mit feinen Löchern markiert. Somit waren die Zeilen der Vorder- und Rückseite deckungsgleich, wenn man den Bogen gegen das Licht hält. Das hatte ich schon oft im Kunstgeschichte- und Schriftunterricht gehört, es fiel mir nur nicht zu Beginn meines eigenen Projektes ein. Deshalb ist die Rückseite meiner zweite Seite etwas verrutscht, was beim Blättern nicht auffällt, wohl aber, wenn man das Papier gegen das Licht hält.
Dann musste ich mich entscheiden an welche Stelle Initialen hinkommen und wo Überschriften sind. Wo die kleinen Ziffern für die Bibelverse stehen sollten, musste ich immer Einrückungen übrig lassen. Ich musste den Text in Abschnitte unterteilen und schauen dass ich mit dem Platz so hin komme, dass mir am Ende noch ein bisschen Platz zum illustrieren bleibt. Am Ende jedes Schreibers/ jeder Schreiberin sollte ein kleiner Übergang ermöglicht werden zum nächsten Schreiber/ zur nächsten Schreiberin, damit sich die unterschiedlichen Stile und Schriftarten nicht unmittelbar im Weg stehen.
Während des Schreibens ist mir aufgefallen, wie viele Entscheidungen man eigentlich während eines Schreibprozesses alles trifft. Da muss ich mich entscheiden: Welche Formen der Buchstaben verwende ich (wenn es mehrere gibt, wie z.B. beim großen S), mache ich über ä, ü, ö Striche (wie sollen sie aussehen?) oder schreibe ich ae, ue, oe (und wenn, in welcher Form?) Das muss ich dann fortwährend so schreiben, um ein einheitliches Schriftbild zu erreichen. Mir ist aufgefallen, dass ich da innerhalb des gesamten Projekts nicht ganz konsequent war, weil ich so große Pausen zwischen den einzelnen Schreibsessions hatte und darauf nicht von Anfang an geachtet habe.
Zeitmanagement
Ausserdem habe ich unterschätzt, wieviel Aufwand es bedeutet, Textmenge zu schreiben und zu gestalten. Mir war nicht klar, dass ich so viel Zeit benötigen würde und wieviel Planung es ringsrum doch braucht.
Ich bin ziemlich langsam voran gekommen, weil ein paar Zeilen doch gleich zwei Stunden in Anspruch genommen haben. Und weil ich immer ein bestimmtes ruhiges Setup brauchte. Das heißt, ich habe mir richtig Zeit dafür freigeschaufelt, die Familie aus dem haus geschickt, mich vorher in konzentrierte Stimmung gebracht und darauf geachtet, dass ich eine ruhige gesamt Verfassung habe. Wenn ich Unruhe im Alltag habe, dann kann ich nicht Kalligraphie schreiben, wo ich mich konzentrieren muss und schöne Buchstaben rauskommen sollen. Das geht mit explosiven Arbeiten, aber nicht mit so klassischer Kalligraphie.
Ich hätte das Projekt gern schon etwas früher beendet. Das Papier fand ich bei der Textmenge ein bisschen schwierig zu beschreiben. Ich habe leider einen sehr festen Griff am Federhalter, sodass mir schnell dir Hand schmerzte.
Illumination und Illustration
Zuerst habe ich also alle Seiten im Fliesstext geschrieben. Dann die kleinen Zahlen und Überschriften ergänzt. Zum Schluss habe ich die Initialien gestaltet und dann die Illustration zu Beginn und am Ende meiner Texte.
Die Initialien habe ich sehr einfach gehalten ohne Schnörkel und blumige Verzierungen. Dafür habe ich Blattgold als Akzent eingesetzt und Aquarellfarbe passend zur Illustration. Für die Illustrationen habe ich mich vom Textinhalt inspirieren lassen. Einmal war es „Quelle“ als Stichwort und einmal „Zuflucht“. Zu diesen Worten habe ich zuerst in der Bildersuche im Internet Fotos gesucht, die ich später vereinfacht als Bleistiftzeichnung auf mein Format übertragen habe. Die Farbflächen habe ich sehr Detailarm aufgetragen und zwischen den einzelnen Farbflächen weisse Linien gelassen. Somit erhielt das Bild ein bisschen den Charakter von Bleiglasfenstern.
Das Ergebnis
Jetzt, wo das Projekt fertig ist, freue ich mich natürlich über die schön gestalteten Seiten. Es sieht doch sehr imposant aus. Schrift und Illustration harmonieren gut miteinander. Die Farbklänge sind harmonisch und fügen sich insgesamt zu einem ansehlichen Ganzen.
Die Eckdaten
Schrift: Textura mit 1 mm Bandzugfeder (Unterüberschriften 0,5 mm), Überschrift Capitalis Monumentalis mit 3 mm Bandzugfeder
Papier: Arches Bütten Aquarell, 8 Seiten (2 gefaltete Blätter)
Format: pro Seite 28,5 x 35,5 cm, 16,5 x 23 cm Satzbreite/Länge
Farbe: Schmincke Guache (Schwarz, Englischrot) für die Texte, Schmincke Horodam Aquarellfarbe für die Illustrationen und Initialien, Blattgold