Nachgefragt ist eine Interviewreihe mit anderen KalligrafInnen. Ich finde es selbst sehr inspirierend, mich mit KollegInnen auszutauschen, einen Einblick in ihre Arbeitweise und Motivation zu erhalten.
Entdeckt habe ich Joachim Propfe zum ersten mal in Hamburg in einem Buchladen. Dort stand sein Buch „Schreibkunsträume„*. Seine kalligrafierten Wände fand ich faszinierend. Meinen ersten Kalligrafiekurs (zusammen mit Sandra) habe ich 2010 bei Joachim gemacht. Da ging es um kalligrafierte Wände. Später, 2014, haben wir auch nochmal auf Stoff geschrieben. Heute habe ich Joachim im Interview.
Danke für deine Antworten!
Joachim Propfe
Kalligrafisch
Wie kam Kalligrafie in dein Leben?
Durch mein Design-Studium in Hildesheim. Dort lehrte zu meiner Zeit Gottfried Pott. So hatte ich das Vergnügen vom ersten bis zum letzten Semester, neben den anderen Fächern, Kalligrafie und experimentelles Gestalten mit Schrift intensiv studieren zu dürfen. Pott hat es schnell geschafft meine Leidenschaft für das Schreiben zu entzünden.
Was bedeutet Kalligrafie für dich?
Kalligrafie hat in meinem Leben eine große Bedeutung, das Schreiben macht sehr viel Freude. Wahrscheinlich liegt es daran, dass die Kalligrafie genau wie die Musik ungeteilte Aufmerksamkeit benötigt, so bin ich ganz und gar in dem was ich tue. So ist es ein großes Glück mit dieser Tätigkeit auch den Lebensunterhalt erwirtschaften zu können. Ich tue in meiner (Arbeits-) Zeit etwas, das mich ausfüllt, das mich glücklich macht. Denn Arbeitszeit ist Lebenszeit! Ich habe keine Lust meine Lebenszeit mit Tätigkeiten zu verschwenden, die mir keine Freude bereiten, das ist unmotivierend, frustrierend und am Ende spiegelt sich so etwas immer in der Qualität des Ergebnisses. Ich möchte mich jedoch immer an dem was ich tue auch erfreuen können, egal ob es sich um eine freie oder angewandte künstlerische Arbeit handelt. Am Ende ist es ein Teil von mir, mit dem ich mich identifizieren kann.
Wenn du nur mit drei deiner Schreibwerkszeuge arbeiten dürftest, welche wären das?
Ich würde einen Flachpinsel, einen Spitzpinsel und einen Bleistift wählen.
Wie kommst du am besten in einen kreativen Schaffensmodus? Und wie schaffst du es, aus einer Schaffensblockade rauszukommen?
Das sind zwei Fragen, für die es eine Antwort gibt: Einfach anfangen! Nicht lange nachdenken, Text nehmen und in verschiedenen Varianten schreiben, die Ideen für die Gestaltung kommen dann von alleine – zumindest ist das meine Erfahrung. Meistens entwickeln sich innerhalb kürzester Zeit so viele Möglichkeiten, dass man die Beste davon auswählen und mit ihr weiterarbeiten kann.
Woher bekommst du deine Ideen/was inspiriert dich?
Es gibt für Ideen keine bestimmte Quelle. Inspirierend kann die Fahrt durch eine schöne Landschaft, das Blättern in einem Kunstband, die Beschäftigung mit einer bestimmten Kunstepoche oder auch das Lesen eines Textes sein. Meist speist sich eine Idee aus verschiedenen Quellen, die ich miteinander kombiniere.
Welche Texte und inhaltliche Schwerpunkte finden in deine Arbeit? (Musik, Lyrik, Zeitgeschehen, spirituelle Texte…)
In meine freien künstlerischen Arbeiten beschäftige ich mich gerne mit philosophischen oder religiösen Texten aus den unterschiedlichsten Gattungen. Neben Prosa und Lyrik können das durchaus auch Sachtexte oder Aphorismen sein.
An welchen Projekten arbeitest du gerade? Was beschäftigt dich?
Meistens arbeite ich an mehreren Projekten gleichzeitig. Gerade bin ich mit mehreren Wandgestaltungen beschäftigt, denn die wollen erst einmal entworfen und vor der Ausführung auch entsprechend vorbereitet sein. Daneben noch eine kalligrafischen Wortmarke und andere kleinere Aufträge wie z. B. Schmuckblätter zu verschiedenen Anlässen.
Persönlich
Wie entschleunigst du deinen Alltag? Wobei entspannst du dich?
Zwischendurch mal gar nichts tun, nichts wollen, nichts denken, alles um mich herum vergessen, einfach nur mal sein – und wenn es manchmal nur wenige Minuten sind, aber das entschleunigt und entspannt sehr!
Welches Buch hat dich als letztes berührt?
Ich habe gerade das neue Buch von Daniel Kehlmann „Tyll“ gelesen. Es spielt vor dem Hintergrund des 30-jährigen Krieges, Kehlmann zeichnet und charakterisiert seine Figuren mit all ihrem tragischen, komischen, verrückten, verblendeten, eitlen Menschsein, was sie jedoch der Zeit enthebt, so dass dieses Buch wirklich gute Literatur ist. Kehlmann führt hier u.a. das gesamte vor dem Hintergrund der Endlichkeit (besonders drastisch in Form des Krieges) häufig völlig lächerliche Getue der Menschen vor Augen, was ja die ureigenste Aufgabe eines weisen Narren sein sollte. Es ist sehr kunstvoll „gebaut“ und lohnt ein zweites Lesen. Gerade Tyll ist eine geniale Figur, da er zwar irgendwie immer im Buch präsent ist, aber dennoch gar nicht so oft in Erscheinung tritt, wie man anfangs vermutet. An ihm finde ich faszinierend, dass er das tut, was er kann, er handelt nach seinem Verstand und ist dadurch, dass er auf keine gesellschaftlichen Konventionen Rücksicht nimmt, wirklich frei.
Führst du ein Skizzenbuch/Tagebuch/Journal?
Selbstverständlich habe ich ein Skizzenbuch! Das ist sehr wichtig für mich. Hier entwickeln sich viele kreative Ansätze, die später in meine Arbeit Eingang finden.
Wenn ja, was nutzt du dafür, wie sieht es aus und wie bewegst du dich darin?
Ich benutze am liebsten einen Skizzenblock mit Spiralbindung, da hat man nicht das Problem der gewölbten Seiten. Meine Skizzenbücher haben unterschiedliche Formate wie A4 oder A3. Interessanterweise entwickelt sich das, was ich gedanklich als Skizze beginne auf dem Papier häufig zu einer interessanten künstlerischen Arbeit, die auch für sich stehen kann. Ich nutze das Skizzenbuch aber auch für Ideen, die mir im Zusammenhang mit Aufträgen einfallen. Skizzenbücher haben für mich einen hohen Wert, da ich darin ganz unbefangen vor mich hin arbeiten kann, es muss nichts gelingen, aber gerade deshalb werden Skizzen qualitativ oft besser als ein durchgeplantes Werk; sie sind intuitiver.
Perspektivisch
Was rätst du jemandem, der mit Kalligrafie anfangen möchte? Wo beginne ich, wie nähere ich mich dem Thema?
Derjenige, der mit Kalligrafie beginnen möchte, sollte einen Workshop besuchen. Natürlich kann man Kalligrafie auch autodidaktisch lernen, aber einfacher und schneller geht´s mit eine-r/m guten Lehrer-in und vor allem guten Schriftvorlagen; die zu finden ist für den Neuling nicht einfach, denn wie soll er ohne jegliche Kenntnis eine gute von einer weniger guten Vorlage unterscheiden können? „Gefällt mir“ oder „gefällt mir nicht“ sind hier nicht die besten Entscheidungshilfen. Außerdem gibt es so viel grundsätzliches zu lernen: Welche Federn? welches Papier? welche Farben? warum das alles selbst ausprobieren, wenn man auf die Erfahrung anderer zurückgreifen kann?
Kalligrafie im 21. Jahrhundert: Wohin entwickelt sie sich? Welche Bedeutung hat sie?
Die Kalligrafie wird sich verändern, wie alles, was der Mensch an kulturellen und künstlerischen Fähigkeiten entwickelt hat, aber noch viel mehr wird sich die Wahrnehmung der Kalligrafie verändern. Die Ursache hierfür liegt in den gewandelten Möglichkeiten des Lesens und Schreibens. Das Lesen wird als allgemeine Grundfertigkeit erhalten bleiben, das Schreiben mit dem Stift auf ein Stück Papier dagegen wird massiv an Bedeutung verlieren, da es andere, schnelle und bequeme Möglichkeiten gibt etwas schriftlich zu fixieren. Konnte früher jeder mit der Hand und einem Stift etwas schreiben, so werden es in Zukunft immer weniger Menschen können. Ein Blick in die erste Klasse der Grundschulen macht das schon deutlich. Dadurch ändert sich der Blick auf jemand, der in der Lage ist händisch ästhetische Formen zu erzeugen, völlig. Das manuelle Schreiben rückt vom Betrachter weg, er kann nur noch bedingt nachvollziehen, was dort passiert. Die Faszination wird steigen (ob auch die materielle Wertschätzung steigt bleibt offen). Durch diese andere Wahrnehmung könnte die Kalligrafie als Kunstrichtung an Gewicht gewinnen.
Joachim Propfe, 30.04.2018
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Bücher
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