Nachgefragt ist eine Interviewreihe mit anderen KalligrafInnen und SchriftkünstlerInnen. Ich finde es selbst sehr inspirierend, mich mit KollegInnen auszutauschen, einen Einblick in ihre Arbeitweise und Motivation zu erhalten.
Mein erstes Lettering Buch, was ich mir gekauft habe, war das Buch „Handlettering von a bis z“* von Hannah Rabenstein. Ich erinnere mich noch genau, wie inspirierend ich es fand und wie es mir Lust auf Buchstaben und Letteringspaß gemacht hat. Heute habe ich Hannah im Interview.
Liebe Hannah, danke, dass du dir die Zeit genommen hast, meine Fragen zu beantworten.
Hannah Rabenstein
Schriftlich
Wie kam Kalligrafie bzw. Lettering in dein Leben?
Bewundert habe ich die Kunst des schönen Schreibens schon lange. Und wenn ich so recht darüber nachdenke, stelle ich fest, dass ich mir früher schon sehr viel Mühe bei meinen Einträgen in Poesie-Alben gegeben habe.
Kurz vor meinem Design-Studium in Nürnberg (2008) besuchte ich die Akademie Faber-Castell, um dort meine Bewerbungsmappe zu machen. Kalligrafie war auch ein Kurs – und dann ging alles ganz schnell: es hat sprichwörtlich »klick« gemacht und ich hab mich Hals über Kopf in die Buchstaben verliebt.
Das Zeichnen (und ich war mal richtig gut darin! ;-)) habe ich schnell gegen Buchstaben und Schrift getauscht und wurde im Studium (mit Schwerpunkt Typografie) von Beginn an zur »Typo-Hannah« für alle.
Ich bin der Zeit bei Faber-Castell wahnsinnig dankbar, denn sie hat mich nachhaltig geprägt und ein großes Stück zu der gemacht, die ich heute bin.
Was bedeutet Kalligrafie/Lettering/die Arbeit mit Buchstaben und Worten für dich?
Alles. Es ist Liebe, es ist Emotion, es ist Entspannung und Arbeit und immer wieder eine Herausforderung. Es ist ein stetiger Prozess, eine Entwicklung meiner eigenen Person. Man lernt selber nie aus und entdeckt immer wieder neue Möglichkeiten und Techniken.
Buchstaben sind für mich mein Leben, mein Alltag – und die »cherry on top«: ich kann mein Geld mit dem verdienen, was ich liebe! 🙂
Wenn du nur mit drei deiner Schreibwerkzeuge arbeiten dürftest, welche wären das?
Ein hochwertiger (Druck-)Bleistift, ein selbiger Fine-Liner, und ein weißer Acryl-Marker.
Woher bekommst du deine Ideen/was inspiriert dich?
Die besten Ideen liefert immernoch das Leben selbst. Das kann ein aufge- schnapptes Wort während einer Unterhaltung sein oder eine Liedpassage, oder eine Zeile in einem Buch, Magazin, etc. – ich habe mir über die Jahre eine Liste an Texten, die ich »mal schreiben muss« angelegt und darin finden sich lustige, bizarre, und banale, aber auch tiefgründige, mal traurige, mal poetische Worte, Zeilen und Kurztexte.
An Instagram kommt fast niemand mehr vorbei und auch ich nutze dieses Medium hauptsächlich zur Inspiration und um zu sehen, was meine KollegInnen weltweit so Schönes treiben… 😉
Mein Herz schlägt für das Art Déco, für Miami und die 80er Jahre. Darin finde ich auch regelmäßig Inspirationen.
Weiterhin interessiere ich mich immer wieder für andere oder neue Techniken, sammle fleißig Ideen für neue Umsetzungen – und bräuchte einfach nur etwas mehr Zeit! 😉
Persönlich
Was ist für dich kleines Glück?
Wenn der erste Strich bei einem Projekt (z.B. auf einer Wand oder einem Schaufenster), so verläuft, wie ich es mir wünsche – dann weiß ich: das wird ein guter Tag 😉
Hast du ein Morgenritual?
Ja, und das habe ich mir auch erst kürzlich angewöhnt, weil ich mich aktuell mehr mit mehr Klarheit & Fokus im Alltag beschäftigen möchte. Dabei hat mir das Buch »Stell dir vor, du wachst auf« von CURSE (meinem lieblings-Rapper 😉 ) schon auf den ersten Seiten sehr geholfen:
mein Handy lasse ich seit mehreren Wochen noch lange am Morgen ausgeschaltet (vorher habe ich es sofort nach dem Aufwachen aktiviert). Dann setze ich mich mit einer Tasse frischen, schwarzen Kaffee auf meinen Balkon, schließe die Augen, höre in mich rein, wie es mir geht, wie ich geschlafen habe, wie ich mich fühle, atme mehrmals tief durch und öffne die Augen.
Klingt einfach, ist aber ganz wunderbar.
Als erstes Lied am Morgen läuft seit unserem letzten Urlaub meistens »(Sitting on) the dock of the bay« von Otis Redding. Gut, um in den Tag zu starten!
Wie entschleunigst du deinen Alltag? Wobei entspannst du dich?
Mit genügend Pausen am Tag, mit guter Musik, mit Bewegung – ich fahre so viel wie möglich mit dem Fahrrad durch Nürnberg, v.a. abends tut das gut. Ansonsten bin ich ein wahnsinniger Sport-Muffel…
Und natürlich mit so viel Urlaub / Reisen wie möglich! 🙂
Wenn es mir schlecht geht, denke ich an den schönsten Sonnenaufgang meines Lebens am Strand von Miami Beach.
Perspektivisch
Was rätst du jemandem, der mit Lettering anfangen möchte? Wo beginne ich, wie nähere ich mich dem Thema?
Mein erster Rat ist immer, seine Sinne und seine Augen für Typografie und Buch- staben zu schärfen. Das Gute daran: Schrift ist omnipräsent.
Ich selbst habe so begonnen und kann folglich nur meinen Weg erzählen.
Ich rate jedem, sich mit Typografie zu beschäftigen, begonnen mit den verschiedenen Gattungen (Grotesk, Antiqua, etc.) und die unterschiedlichen Buchstaben oder Schriften ruhig erst einmal nach-/abzuzeichnen – somit bekommt man ein Händchen und ein Gefühl für die Anatomie von Buchstaben. Man erlernt ihren Aufbau und entdeckt ihre signifikanten Details. Was in meinen Augen nicht nur sinnvoll, sondern auch wichtig ist.
Wer mehr als „nur 08/15-Brushlettering“ machen möchte, sondern wirklich Interesse an Schrift hat, wird schnell merken, dass diese Welt nahezu unerschöpflich ist. Und sehr viel Spaß macht. Man kann gut darin eintauchen & versinken. 🙂 Nachdem man Grundlagen der Typografie begriffen hat, kann man weitergehen und bspw. verschiedene Schriften miteinander kombinieren und seine eigene Kreativität mit einfließen lassen.
Einen Abstecher in die Kalligrafie habe ich selber damals auch gemacht und historische Schriftarten erlernt. Diese Erfahrung hat mir und meiner Entwicklung sehr gut getan und man bekommt eine weitere Sichtweise auf Schrift. Ansonsten gilt, wie fast überall: üben, üben, üben! So tue ich es heute noch.
Lettering: Wohin entwickelt es sich? Welche Bedeutung hat es?
Was vor vielen Jahren noch als »Nische« begann, ist heute einfach ein Trend. Das ist Fakt. Und auch die (Schreibwaren-)Industrie, diverse Unternehmen und die Werbung profitieren natürlich davon. Jeder möchte etwas möglichst Handgeschriebenes (selbst wenn es nur ein schlecht gesetzter Font in dieser Optik ist – kreisch!) in seinem Auftritt haben.
Einerseits ist es wunderbar und toll zu sehen, wie analoges Arbeiten in unserer digitalen Welt wieder ein sehr großes Revival erfährt – die DIY-Welle ist beachtlich und ich denke viele Menschen, die vielleicht einem klassischen 9-5-Job im Büro nachgehen, brauchen einfach etwas, das sie mit ihren Händen in ihrer Freizeit (er-)schaffen. Ob das nun Häkeln, Stricken, Töpfern, Malen, Backen oder eben (schön) Schreiben ist, ist erstmal egal. Es tut ihnen gut. Ich sehe diese Bewegung gerne mal als Romantik-Epoche 2.0.
Für mich persönlich ist das natürlich umso besser, da ich davon lebe!
Andererseits muss ich sagen, dass mich dieser Trend-Beigeschmack seit einiger Zeit wirklich den Kopf schütteln lässt.
Ich denke die wenigsten beschäftigen sich wirklich mit dem, was hinter Schrift steckt. Und auch wenn dieses neudeutsche »Lettering« eher das Zeichnen von dekorativen Buchstaben sein mag, steckt auch dahinter schlichtweg Schrift. Und sie ist so viel mehr als tänzelnde Buchstaben mit dem Brushpen zu schreiben, die man häufig gar nicht mehr lesen kann.
Ich möchte niemandem etwas vorschreiben, schon gar nicht, wie er an ein (nur) Hobby herangehen soll. Aber in meinem Buch habe ich, glaube ich, auch schon den Vergleich gebracht: wenn ich Violine lernen möchte, kaufe ich mir doch auch nicht die erstbeste und quietsche darauf los… 😉
Pardon für meine vielleicht etwas harten Worte, aber was man heute häufig sieht, hat mit Typografie, ihrer Geschichte und ihrer Aufgabe nicht mehr sonder- lich viel zu tun. Vieles rutscht leider auch schon mal ins Komikhafte – um den Typografen Rudolf Paulus Gorbach kurz zu zitieren, dessen Meinung ich diesbzgl. durchaus teile.
Buchstaben und Schrift sind so viel mehr, als pastellfarbene trendy Brushletterings. Ich würde mir wünschen, dass sich wieder mehr Leute auch mit dem Gefühl und der Botschaft, die Schrift vermittelt, beschäftigen würden.
Aber nixdestotrotz: alles hat seine Daseinsberechtigung, und am Ende ist es wichtig, dass jeder glücklich mit dem ist, was er tut! Ob Hobby oder Trend oder Beruf. Und auch ein Trend, ist am Ende eben ein Trend. Und auch dieser wird eines Tages vorbei sein, da bin ich mir sicher. Aber Schrift wird immer bleiben und Schrift wird immer gebraucht werden! Denn: sie ist eben doch omnipräsent 😉 In welcher Form auch immer.
Und bis dahin bleibe ich einfach meinem eigenen Style treu und überlege, was ich als nächstes anstelle. Und wie es so ist, auch in der kreativen Szene, muss man immer wieder auf’s Neue versuchen sich abzuheben 🙂 ob durch Qualität, einer neuen Idee und/oder seiner eigener Überzeugung.
Aber zum Schluss noch etwas: ich »lettere« nicht, ich schreibe. Wer sich wohl diese gruselige Wortneuschöpfung ausgedacht hat…
Hier findest du Hannah Rabenstein und ihre Schriftkunst
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